Sanremo 2023: Gute Musik und schlechte Politik

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Die 73. Ausgabe des Sanremo-Festivals ist Geschichte, aber immer noch bestimmendes Gesprächsthema in Italien. Was wird bleiben? Ein Rückblick auf Sanremo 2023.

Die 73. Ausgabe des Sanremo-Festivals ist Geschichte, aber immer noch bestimmendes Gesprächsthema in Italien. Was wird bleiben? Ein Rückblick auf Sanremo 2023.

Insgesamt merkte man dem Festival 2023 an, dass es von langer Hand geplant wurde. Amadeus hatte 2022 vollständig in seine Rolle gefunden und war nun entsprechend souverän. Auch in den Pressekonferenzen fiel in diesem Jahr sein gestärktes Selbstbewusstsein auf. Eine seiner besten Entscheidungen in diesem Jahr war mit Sicherheit die Wahl Gianni Morandis als Komoderator. Während Morandi als alleiniger Moderator in den Jahren 2011 und 2012 bisweilen leicht überfordert wirkte, konnte er hier mit seiner sympathischen und selbstironischen Art überzeugen. Historisch war darüber hinaus der Besuch von Staatspräsident Sergio Mattarella am Eröffnungsabend, was Roberto Benigni angemessen würdigte. Weitere Höhepunkte gelangen mit dem Iran-Moment am zweiten Abend und mit den internationalen Gästen.

Sanremo 2023: Der Präsident der Italienischen Republik Sergio Mattarella steht zwischen Gianni Morandi, Chiara Ferragni, Amadeus und seiner Tochter Laura vor schwarzem Hintergrund. Ferragni macht ein Selfie von sich und der Gruppe.
Sergio Mattarella mit seiner Tochter Laura, Gianni Morandi, Chiara Ferragni und Amadeus beim Sanremo-Festival (Credits: Paolo Giandotti, Quirinale.it)

Aus musikalischer Sicht war das Festival 2023 mit den Vorgängereditionen vergleichbar, die kommerziellen Erfolge dürften sich ähnlich gestalten. Insgesamt waren die teilnehmenden Lieder weniger vielfältig und das Mittelfeld war breiter. Große Diskrepanzen zwischen unterschiedlichen Abstimmungen waren nicht zu beobachten, was normalerweise auf eher gefällige und wenig kontroverse Musik hindeutet. Auch wenn weiterhin eine gute Mischung zwischen Tradition und Moderne gegeben war, schien der Schwerpunkt diesmal auf der Tradition zu liegen. Auffällig war auch, dass zum ersten Mal seit 2016 die goldene Generation nicht vertreten war. Auf jeden Fall muss festgehalten werden, dass die rekordverdächtigen 28 Beiträge zu viel des Guten sind: Jede Reduktion wäre hier eine Verbesserung.

Das Festival 2023 schien besonders skandalträchtig zu sein, auch wenn die Skandale eher unterhaltsam waren und die Veranstaltung nicht sichtbar beschädigten. Vor dem Festival war das erbittertste Streitthema die geplante Videobotschaft des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj. Die unverständliche Diskussion wurde schließlich durch das Ausweichen auf reines Vorlesen eines Briefs weitestgehend beendet. Durch Selenskyjs gleichzeitigen Europabesuch, bei dem sich Ministerpräsidentin Giorgia Meloni offenbar übergangen fühlte, wirkte die ursprüngliche Aufregung noch skurriler. Zusätzlich hatte eine Abgeordnete der Regierungspartei mit vagen Ideen zu Genderthemen im Vorfeld des Festivals noch gegen die Teilnahme Rosa Chemicals Stimmung gemacht.

Nahansicht von Wolodymyr Selenskyj. Er blickt direkt in die Kamera und trägt ein T-Shirt in Militärfarben.
Wolodymyr Selenskyj (2022)

Dann kam am ersten Abend Blancos Blumenmassaker. Es blieb unklar, wie sehr der ursprüngliche Auftritt aus dem Ruder gelaufen war, aber die Reaktionen zeigten vor allem den wichtigen symbolischen Wert der Blumen für Sanremo. Am Mittwoch war die Reihe an Fedez, der sich über die Rosa-Chemical-Aussprachen empörte und Vizeverkehrsminister Galeazzo Bignami als Hitler-Fan sowie Familienministerin Eugenia Roccella als Abtreibungsgegnerin angriff. Trotz ansteigender Kritik an der Festivalorganisation kehrte Fedez wie geplant am Freitag als Gast von Articolo 31 zurück. Diese Gelegenheit nutzte er für einen Aufruf an Giorgia Meloni zur Cannabislegalisierung. Und als krönenden Abschluss kam es im Finale noch zum Kuss zwischen Rosa Chemical und Fedez (vor den Augen seiner Frau Chiara Ferragni).

Die erwartbare Empörung aus der Regierungskoalition ließ nach dem Finale nicht lange auf sich warten. Dass reale Konsequenzen für Verantwortliche der Rai drohen, ist angesichts des allgemeinen Erfolgs kaum zu erwarten. Es bleibt abzuwarten, wie lange die Aufregung anhält. Interessant an der Affäre ist, dass als Sprachrohr der Regierung ausgerechnet der Kultur-Staatssekretär Gianmarco Mazzi fungiert. Mazzi war selbst siebenmal künstlerischer Leiter des Sanremo-Festivals (zuletzt 2012) und saß bis 2022 noch in der Sanremo-Musikkommission. Der größte Skandal unter seiner Leitung spielte sich beim Festival 2010 ab, als Emanuele Filiberto von Savoyen mit Italia amore mio beinahe den Wettbewerb gewann. Es wird eben immer gegen das polemisiert, was gerade politisch nicht gefällt.

Foto der Musikkommission vor dem Logo von Sanremo Giovani, von links: Claudio Fasulo, Gianmarco Mazzi, Amadeus (sitzend), Leonardo De Amicis und Massimo Martelli.
Gianmarco Mazzi (zweiter von links) in der Musikkommission von Sanremo Giovani 2021 (Credits: Ufficio Stampa Rai)

Dabei gäbe es auch sachliche Kritikpunkte. Wie bereits im Vorjahr wiederholt angesprochen, ist das Abstimmungssystem mit seinem übergroßen Televoting-Anteil völlig unausgewogen. Die einzelnen Anteile müssten zumindest prozentual gleich sein, um den Jurys ein echtes Mitspracherecht zu geben. Dazu kommt, dass die allabendliche Bekanntgabe des Zwischenergebnisses viel zu früh den Siegerbeitrag erahnen lässt und dem Wettbewerb somit Spannung nimmt. Hier sollte ein etwas ausgeklügelteres System erarbeitet werden. Die Miteinbeziehung des Cover-/Duettabends schließlich wirkt zweifellos wettbewerbsverzerrend und lenkt von der Essenz eines Liederwettbewerbs ab.

Neben den Abstimmungsmechanismen fiel erneut die randständige Rolle der sogenannten Komoderatorinnen negativ auf, die Amadeus unbedingt aufwerten müsste. Zwar hatte Chiara Ferragni durch ihr Auftreten an zwei Abenden etwas mehr Screentime, doch eine vollwertige Komoderatorin für das gesamte Festival muss möglich sein. Zuletzt sei erwähnt, dass eine Kürzung der Festivalabende um jeweils etwa eine Stunde dem Sanremo-Festival sicherlich guttun würde. In diesem Jahr gelang es Amadeus nur teilweise, effizient und mit einem guten Rhythmus durch die Abende zu führen. Die wiederkehrenden Längen im Programm waren unübersehbar. Bei aller Liebe für die Veranstaltung: Eine geplante Endzeit des Finales um 2:48 Uhr ist einfach unnötig.

Sanremo 2023: Marco Mengoni steht neben dem Bürgermeister von Sanremo und erhält die Sanremo-Trophäe. Rechts stehen Chiara Ferragni und Gianni Morandi, links steht Amadeus. Der Boden ist mit Konfetti bedeckt.
Marco Mengoni gewinnt das Sanremo-Festival 2023 (Credits: Ufficio Stampa Rai)

In Summe war Sanremo 2023 also ein zu langes, aber ereignisreiches, und ein musikalisch reichhaltiges, aber zu traditionelles Festival, das an ungünstigen Abstimmungsmechanismen krankte und von unnötigen politischen Polemiken begleitet wurde, aber durch diverse musikalische und nicht musikalische Höhepunkte sowie ein starkes Moderatorenduo punkten konnte. Seine zentrale Rolle innerhalb der italienischen Musik und Gesellschaft konnte das Sanremo-Festival mit Leichtigkeit verteidigen, die Erwartungen für 2024 dürfen also hoch bleiben.

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