Der ESC und das italienische Publikum

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Der Eurovision Song Contest war in Italien nie besonders populär, vor allem nicht im direkten Vergleich mit dem Sanremo-Festival. Das lange Fernbleiben Italiens vom ESC vor 2011 kann nicht zuletzt auf ein relativ geringes Publikumsinteresse zurückgeführt werden. Könnte sich dies dank Måneskins Sieg ändern?

Wie ich bereits 2015 im Detail analysierte, war der Eurovision Song Contest in Italien nie besonders populär, vor allem nicht im direkten Vergleich mit dem Sanremo-Festival. Das lange Fernbleiben Italiens vom ESC vor 2011 kann nicht zuletzt auf ein relativ geringes Publikumsinteresse zurückgeführt werden, das wiederum in erster Linie in der Vormachtstellung des Sanremo-Festivals begründet ist. Könnte sich dies dank Måneskins Sieg ändern?

Zuerst ein Blick auf die Einschaltquoten (jeweils Finale). Seit Beginn der Aufzeichnungen bewegten sich die Einschaltquoten für den ESC in Italien im Bereich von einer Million Zuschauer (einziger Ausreißer: knapp 7 Millionen 1991, als der ESC in Italien ausgetragen wurde), während Sanremo zwischen 21 und 9 Millionen schwankte. Allerdings scheinen sich die Quoten seit 2015 etwas angenähert zu haben: Sanremo blieb zwischen 13 und 11 Millionen, der ESC hingegen stabilisierte sich bei über 3 Millionen und überschritt 2021 erstmals die 4-Millionen-Marke. Zwischen 1987 und 2021 verkleinerte sich der Abstand der Quoten also von 17,7 auf nur noch 6,2 Millionen.

Liniendiagramm, das die Einschaltquoten des ESC und des Sanremo-Festivals in Italien seit 1987 zeigt.
Einschaltquoten des ESC und des Sanremo-Festivals im Vergleich

Der Impact des ESC in einem Land lässt sich neben dem Blick auf die Einschaltquoten am besten über die Charterfolge der Wettbewerbsbeiträge einschätzen. Die Vergleichbarkeit von Chartplatzierungen über einen langen Zeitraum ist eingeschränkt, aber ein Blick auf die Platzierungen von Sanremo-Siegerliedern, italienischen ESC-Beiträgen und ESC-Siegerliedern in den Top 25 der italienischen Singlecharts seit 1960 verdeutlicht den geringen Einfluss des ESC auf italienische Musikkonsumenten. Bislang erreichten erst sechs ESC-Siegertitel die Top 25 der Charts (darunter die drei italienischen Siegerlieder), in jüngerer Zeit noch einige wenige die unteren Plätze der Charts. Lediglich Gigliola Cinquettis Non ho l’età konnte in all den Jahren Platz eins erreichen. Nur zwölf italienische ESC-Beiträge, die nicht das Sanremo-Festival gewonnen hatten, erreichten die Top 25. Im Vergleich dazu erreichten 55 Sanremo-Siegerlieder die Top 25, darunter 29 Nummer-eins-Hits (inklusive Non ho l’età).

Punktdiagramm, das Platzierungen in den italienischen Singlecharts von Sanremo-Siegertiteln, ESC-Siegertiteln und italienischen ESC-Beiträgen zeigt.
Chartplatzierungen in den Top 25 der italienischen Singlecharts seit 1960 (Musica & Dischi, FIMI)

Besonders eindrucksvoll ist auch der Gesamtvergleich der Charterfolge nach dem Sanremo-Festival und nach dem ESC 2021: Alle 26 Beiträge aus dem Sanremo-Festival erreichten im Anschluss die Top 100 der Charts (niedrigste Platzierung: 58) und hielten sich dort zu einem großen Teil für lange Zeit; zwei Lieder erreichten hintereinander die Nummer eins, die Top 10 wurde zeitweise komplett von Sanremo-Liedern beherrscht. Im Gegensatz dazu konnte kein einziger ESC-Beitrag 2021 die italienische Top 100 erreichen (lediglich Måneskins Zitti e buoni stieg erneut auf Platz zwei auf). Auch der Siegertitel von 2019, Duncan Laurence’ Arcade, hatte nie seinen Weg in die italienischen Charts gefunden, obwohl er mit Verspätung sogar die US-Charts erreicht hatte.

In Summe scheint die Bedeutung des ESC für das italienische Publikum also auch 2021 noch nicht besonders hoch zu sein. Es ist zu erwarten, dass die Einschaltquoten des ESC 2022 in Italien wie schon 1991 einen massiven Anstieg erleben werden. Aber während die Charterfolge von Sanremo-Beiträgen in den letzten Jahren sogar deutlich zugelegt haben, zeichnet sich das für die ESC-Lieder vorerst nicht ab.

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