Sanremo 2024: Regionalismus und ein umkämpfter Sieg

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Das 74. Sanremo-Festival, das voraussichtlich letzte unter der Leitung von Amadeus, ist zu Ende. Was wird bleiben?

Das 74. Sanremo-Festival, das voraussichtlich letzte unter der Leitung von Amadeus, ist zu Ende. Was wird bleiben?

Logo „Sanremo 2024. 74º Festival della Canzone Italiana“

Wie es schon fast Tradition ist, konnte Amadeus auch 2024 neue Rekorde aufstellen, was die Popularität der Veranstaltung anging. Mit Quoten von über 70 Prozent und zuletzt mehr als 14 Millionen Zuschauer:innen stellte er sein bisheriges Festival der Rekorde 2022 noch einmal in den Schatten. Es handelt sich um die besten Einschaltquoten seit 1996. Dazu beigetragen dürfte ein starkes Teilnehmendenfeld haben, aber gegen Ende sicherlich auch die sich anbahnende Kontroverse um den möglichen Sieg des Rappers Geolier.

Amadeus steht auf der Bühne des Sanremo-Festivals. Er hat beide Hände erhoben, trägt einen blauen Anzug und eine schwarze Fliege.
Amadeus (Credits: Ufficio Stampa Rai)

Das Festival verlief überwiegend ohne große Skandale, sicherlich im Vergleich zum Vorjahr. Die im Rückblick größte Kontroverse ereignete sich am zweiten Abend, als Gast John Travolta zusammen mit Fiorello und Amadeus den Ententanz aufführte, was weder beim Publikum noch bei Travolta selbst gut ankam. Damit verbunden war die Frage, ob Travolta, der offenbar auf Eigeninitiative zum Festival kam, mit seinen gut sichtbaren Turnschuhen unzulässiges Product Placement betrieben hatte. Die Rai kündigte schließlich sogar an, eine Klage wegen Vertragsbruch gegen Travolta anzustrengen. Der Mitschnitt von Travoltas Auftritt ist in jedem Fall nicht mehr online verfügbar und die Kontroverse hat es auch in internationale Medien geschafft. Alles in allem ein relativ harmloser Zwischenfall, den Fiorello selbst mit viel Humor nahm.

John Travolta (Credits: Georges Biard, CC BY-SA 4.0)

Politisch wurde es 2024 nur selten. Einige Teilnehmende und auch Gäste nutzten ihre Auftritte für zaghafte Aussprachen zum Nahostkonflikt oder allgemein gegen Kriege. Dargen D’Amico war am ausgesprochensten und forderte mehrfach einen Waffenstillstand. Im Publikum der Costa Smeralda waren palästinensische Flaggen zu sehen. Daneben war es vor allem Ghali, der sowohl in seinem Liedtext als auch in seinen Social-Media-Posts auf den Konflikt in Gaza verwies und im Finale gar ein „Ende des Genozids“ forderte, was ihm prompt Kritik von israelischer Seite einbrachte. Sicherlich liegt hier kaum weiterer Zündstoff für eine ähnlich politisierte Reaktion auf das Festival wie im Vorjahr.

Amadeus änderte nicht viel an seinem Gesamtkonzept. Die Abende (gerade auch der Eröffnungsabend) waren relativ gut durchgeplant und abwechslungsreich. Die wenigen Gastauftritte waren überwiegend eine Bereicherung (von John Travolta abgesehen) oder zumindest sinnvoll eingebettet. Besonders gelungen war die Idee, runde Jubiläen von Sanremo-Siegerliedern zu feiern (E poi von 1994, Terra promessa von 1984 und Non ho l’età von 1964). Der Duettabend war musikalisch unerwartet stark; die Regeln sollten aber hinsichtlich seines Einflusses auf das Endergebnis dringend überarbeitet werden. Die Komoderator:innen wirkten in diesem Jahr passender als in den Vorjahren. Ein erwartbarer Kritikpunkt bleibt aber die Anzahl der Teilnehmenden: 30 Finalist:innen sind deutlich zu viel des Guten.

Nach dem Ergebnis des dritten Abends schien der altbekannte Nord-Süd-Konflikt vom Sanremo-Festival Besitz zu ergreifen. Da das nach wie vor unbrauchbare Abstimmungssystem viel zu stark von den Präferenzen des Televotings abhängig ist, führte Geolier plötzlich das Ranking an. Dies schien eine nationale Massenpanik auf der Basis antineapolitanischer Ressentiments auszulösen. Immerhin hatte mit I p’ me, tu p’ te erstmals ein neapolitanisches Lied Chancen auf den Sanremo-Sieg. Tatsächlich lief es wohl eher auf den üblichen Zusammenstoß des traditionellen Sanremo-Publikums und der Hip-Hop-Szene hinaus, der diesmal durch Regionalismus enorm aufgeblasen wurde. Besonders polarisierend wirkte Geoliers zweifelhafter Sieg im Duettabend, der lautstarke Proteste im Saal auslöste.

In der Endrunde konnte Geolier dann auch mit 60 Prozent im Televoting überzeugen, einem noch nie dagewesenen Ergebnis. Wenn man bedenkt, dass Lazza im Vorjahr mit dem exakt gleichen System nur 20 Prozent im Televoting erreichte, wirft die Zahl einige Fragen auf. Durch die Präferenzen der Presse- und Radiojury reichte aber selbst das nicht aus, um gegen die neue Favoritin Angelina Mango, im Übrigen ebenfalls aus Süditalien, zu gewinnen. Die ursprüngliche Favoritin Annalisa musste sich mit dem eher enttäuschenden dritten Platz begnügen. Das Ergebnis kann aufgrund der großen Diskrepanzen zwischen den einzelnen Votingbestandteilen durchaus noch für kontroverse Diskussionen sorgen, ähnlich den Nachwehen des Festivals 2019. Die Diskussion scheint bereits in die komplett falsche Richtung zu gehen, da viele nun offenbar das Gewicht des Televotings gerne verstärkt sehen würden.

Angelina Mango steht auf der Bühne und hält die Siegertrophäe des Sanremo-Festivals 2024 in die Höhe.
Angelina Mango gewinnt Sanremo 2024 (Credits: LaPresse)

Amadeus kann sich auf jeden Fall zufrieden vom Sanremo-Festival verabschieden. Unter seiner Leitung wurden beeindruckende neue Rekorde bei der Popularität des Festivals und den kommerziellen Erfolgen der Sanremo-Lieder aufgestellt. Mit Angelina Mango hat nach zehn Jahren auch wieder eine Frau gewonnen. Amadeus’ Nachfolger oder Nachfolgerin muss in große Fußstapfen treten.

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