Sanremo und der Gender-Gap

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Bereits seit Amadeus’ Antreten als künstlerischer Leiter des Sanremo-Festivals war die Debatte um den Gender Gap in Sanremo ein Dauerthema. Was ist dran?

Bereits seit Amadeus’ Antreten als künstlerischer Leiter des Sanremo-Festivals war die Debatte um den Gender-Gap in Sanremo ein Dauerthema. Was ist dran?

Zunächst ein Blick auf einige Eckdaten. Im Laufe der 74-jährigen Festivalgeschichte lag die künstlerische Leitung der Veranstaltung noch nie in den Händen einer Frau. Bei der Moderation schaut die Situation besser aus, allerdings wurden Frauen in dieser Rolle meistens auf eine Statistinnenrolle an der Seite dominanter Moderatoren reduziert (sogenannte vallette). Vollwertige Komoderatorinnen oder gar alleinige Moderatorinnen sind auch in der jüngeren Geschichte eine Seltenheit, die bisherigen Festivals unter Amadeus waren dabei bekanntlich keine Ausnahme. Die einzige Frau, die jemals im Alleingang Sanremo moderiert hat, bleibt Antonella Clerici (2010). Und selbst im Wettbewerb scheinen Teilnehmerinnen im Allgemeinen geringere Chancen zu haben: Bislang gab es 49 Sieger und nur 24 Siegerinnen (Gruppen und Duos ausgenommen).

In der Vorbereitung seines ersten Sanremo-Festivals 2020 sorgte Amadeus für Verstimmung, als er zwar rekordverdächtige zehn Komoderatorinnen einlud, dabei aber ungeschickte Aussagen über ihr Aussehen und ihre Rolle tätigte. So hatte er die Partnerinnen von Valentino Rossi und Cristiano Ronaldo eingeladen und sie dafür gelobt, dass sie neben ihren Partnern auch einmal einen Schritt zurück machen würden. Dies sorgte für viel billige Polemik, aber auch für ernste Debatten über mangelnde Gleichstellung der Geschlechter in Italien. Amadeus gelobte nach diesem Aufschrei Besserung, doch die Rolle der Komoderatorinnen wurde auch in den folgenden Ausgaben kaum aufgewertet.

Seit 2014 (Arisa mit Controvento) hat keine Frau mehr das Sanremo-Festival in der Hauptkategorie gewonnen und 2023 war sogar die komplette Top fünf männlich. In diesem Jahr scheint Amadeus alles darauf zu setzen, seine fünf Jahre als künstlerischer Leiter mit einer Siegerin beschließen zu können. Nachdem es bei Sanremo Giovani Clara vorgemacht hat (in der Newcomer-Kategorie hatte als letzte Frau ebenfalls Arisa gewonnen, 2009 mit Sincerità), spricht nun viel dafür, dass die Zeit wirklich gekommen ist. Aber damit allein ist natürlich noch kein Gender-Gap geschlossen. In der Diskussion um die Amadeus-Nachfolge wird kaum jemals eine Frau als nächste Sanremo-Moderatorin genannt, und als künstlerische Leiterin schon gar nicht. Außerdem ist das Teilnehmendenfeld mit neun Frauen und einem gemischten Duo noch immer männlich dominiert und Songwriterinnen sowie Dirigentinnen sind noch stärker in der Unterzahl.

Das gesellschaftliche Umfeld und die Marktverhältnisse in Italien sind wenig hilfreich. Aktuell erreicht Italien nur den 79. Platz im Global Gender Gap Index und ist damit eines der Schlusslichter in Europa. Dass mit Giorgia Meloni nun erstmals eine Frau an der Spitze der Regierung steht, ändert hieran wenig, kann die reaktionäre Politik ihrer Koalition den Gender-Gap doch eigentlich nur vergrößern. Auf dem italienischen Musikmarkt scheint es bei der Gleichstellung auch keine Fortschritte zu geben: 2023 haben es nur zwei Frauen in die Jahres-Top-10 der Singles und gar keine in die Jahres-Top-10 der Alben geschafft. Die stärkere Dominanz des Hip-Hop in den letzten Jahren hat wohl nicht unwesentlich zu dieser Situation beigetragen.

Die Sängerin Arisa steht vor einem beleuchteten Bühnenhintergrund. Sie trägt ein dunkles Kleid mit offenem Kragen.
Arisa (Credits: MarMa, CC BY-SA 4.0)

Am Ende läuft es darauf hinaus, dass das Sanremo-Festival ein echter Spiegel der italienischen Gesellschaft (und die Rai ein Abbild der italienischen Politik) ist. Der Gender-Gap im Festival wird sich nicht unabhängig vom (möglicherweise sogar noch größeren) Gender-Gap auf dem Arbeitsmarkt, in der politischen Teilhabe oder in der aktuellen Familienpolitik schließen lassen. Sicherlich wären eine künstlerische Leiterin, mehr wettbewerbsrelevante weibliche Beiträge und mehr Moderatorinnen vom Kaliber einer Michelle Hunziker oder einer Maria De Filippi große Fortschritte. Doch so einflussreich das Festival für die öffentliche Meinungsbildung in Italien auch ist – die zugrundeliegende Dynamik kann nicht in Sanremo gelöst werden.

Wenn also am 11. Februar Giorgia Meloni Annalisa zum Sanremo-Sieg gratuliert (um ein zufälliges Beispiel zu nennen), möge man sich vor Augen halten: Der Gender-Gap ist trotzdem noch immer so groß wie am Tag zuvor.

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