Conti IV: Kontinuität vor Tradition

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Das 75. Sanremo-Festival liegt hinter uns. Conti IV stand vor allem im Zeichen der Kontinuität. Eine Rückschau.

Das 75. Sanremo-Festival liegt hinter uns. Auch wenn im Vorfeld viel über eine Rückkehr zur Tradition gesprochen wurde, stand Conti IV vor allem im Zeichen der Kontinuität. Eine Rückschau.

Nahaufnahme von Carlo Conti mit angeklebtem Mikrofon
Carlo Conti (Credits: Christian Turba, CC BY-SA 4.0)

Carlo Conti erfüllte die Erwartungen, die an ihn von verschiedenen Seiten gestellt wurden, mit Leichtigkeit. Er gab sich routiniert, effizient und behielt stets die nötige Ruhe. Ungeplante Zwischenfälle gab es so gut wie keine (die kleinen technischen Probleme am vierten Abend blieben eine Ausnahme). Contis Zusammenspiel mit den Komoderatoren und -moderatorinnen funktionierte ohne Probleme. Nicht alle der wie gewohnt wechselnden Komoderator:innen konnten gleichermaßen überzeugen, hier könnte ein gleichbleibendes Team sich für mehr Stabilität sorgen.

Dass der Coverabend nicht mehr Teil der Gesamtwertung war, war eine gute Entscheidung. Überraschenderweise schien diese Entscheidung auch den Einschaltquoten nicht zu schaden. Eine schlechte Entscheidung war hingegen die erneute Abtrennung der Newcomer-Kategorie, deren Teilnehmende sehr vernachlässigt wurden. Trotz aller Probleme ist die Einheitskategorie definitiv zeitgemäßer. Die Dauer der Abende wurde trotz gegenteiliger Ankündigung nicht wesentlich verkürzt. Gerade der zweite und dritte Abend hätten noch von einer Kürzung profitieren können, da jeweils nur die Hälfte der Teilnehmenden auftrat. Würde die Gesamtzahl der Teilnehmenden wieder etwas eingeschränkt, könnten auch die anderen Abende kürzer gehalten werden. Maximal 30 Teilnehmende in einer Einheitskategorie sollten hier der Ausgangspunkt sein.

Die niemals endende Diskussion über das Abstimmungssystem konnte auch Conti nicht beschwichtigen. Die kleinen Anpassungen im Sinne einer angeblichen Ausbalancierung der drei Abstimmungsanteile änderten nichts an den unterschiedlichen Abstimm-Methoden der Jurys und des Televotes, wodurch wieder einmal das Televote den größten Einfluss behielt. Trotzdem war die Endwertung so offen wie lange nicht mehr. Eine Vielzahl von Teilnehmenden blieb bis zum Schluss im Rennen und mögliche Narrative des Wettbewerbs änderten sich ständig.

Tony Effe vor gelbem Hintergrund, er trägt eine übergroße Halskette mit einem stilisierten Kreuz, Adler und Totenköpfen
Tony Effe (Credits: Rai)

Für Tony Effe hätte das Festival große Fortschritte in seinem Mainstream-Anklang bedeuten können. Er war um den Jahreswechsel dank seines Ausschlusses vom Neujahrskonzert in Rom sehr kontrovers diskutiert worden und strebte sichtlich einen Imagewechsel an. Sein Lied markierte allerdings auch einen abrupten und wenig passenden Stilwechsel, der bei kaum einer Zielgruppe gut ankam. Entsprechend verloren sich seine wie zuletzt bei Geolier vor allem auf ein starkes Televote abzielenden Chancen schon früh. Der 25. Platz ist für ihn ein wahrlich miserables Ergebnis.

Giorgia steht in schwarzem, schulterfreien Kleid vor einem roten Vorhang und hat den Kopf leicht nach hinten geneigt
Giorgia (Credits: Rai)

Für Giorgia hätte es ein Sieg genau 30 Jahre nach ihrem ersten Sieg beim Festival 1995 sein können. Sie brachte ein gefälliges Lied mit und konnte dank ihres positiven Images eine relativ ausgeglichenen Unterstützung durch Presse, Radios und Publikum erwarten. Mit einer sehr „sicheren“ Liedwahl gewann sie dann den Coverabend und bot sich fürs Finale als ungefährliche Kompromisskandidatin an. Ihr enttäuschender sechster Platz wird wohl noch lange für Diskussionen sorgen.

Simone Cristicchi blickt ernst in die Kamera, er trägt eine braune Anzugjacke und ein offenes Hemd
Simone Cristicchi (Credits: Rai)

Simone Cristicchi baute auf seine Namensbekanntheit und ein schwieriges Thema und schien zunächst vor allem den Kritikerpreis anzustreben. Nach dem ersten Abend kam er auch als möglicher Gesamtsieger ins Spiel. In der öffentlichen Wahrnehmung wurde sein Lied aber schnell durch das konservative Italien vereinnahmt. Dies hätte der Anfangserwartung an dieses Festival – einer Rückkehr zur Tradition – entsprochen. Letzten Endes war es dann vor allem die fehlende Unterstützung im Televote, die seine Chancen schwinden ließ. Zwei Sonderpreise und ein fünfter Platz sollten aber als Trost ausreichen.

Schwarzweißfoto von Fedez, der ein ärmelloses Leibchen trägt und eine Jacke über die Schulter hängen lässt, während er zur Seite blickt.
Fedez 2025 (Credits: Rai)

Fedez hätte mit einem Sanremo-Sieg das Hauptziel seiner öffentlichen Persona mit neuem Feuer weiterverfolgen können: die öffentliche Meinung zu polarisieren und pausenlos Gespräch des Tages zu sein. Nach seiner Verwicklung in das turbulente Finale 2023 und zwei Jahren an Negativschlagzeilen sowie einer frischen Fehde mit Ex-Frau Chiara Ferragni brachte er mehr als genug Gesprächsmaterial mit. Sein unsicherer Auftritt bei Sanremo Giovani (wohl unter dem Einfluss von Antidepressiva) und seine Wahl des Covers (als Botschaft an Chiara Ferragni) ließen nichts Gutes vermuten. Obwohl er einen überaus starken Song mitbrachte, erhielt er letztlich nicht genügend Aufmerksamkeit für einen Sieg. Mit seiner überraschend geräuschlosen Teilnahme schaffte er es „nur“ auf den (respektablen) vierten Platz.

Lucio Corsi in einer Lederjacke lehnt an einen Maschendrahtzaun, im Hintergrund sind Bäume zu sehen
Lucio Corsi (Credits: Rai)

Eher überraschend war der Einzug des vor Sanremo 2025 relativ unbekannten jungen Cantautore Lucio Corsi in den Kreis der Favorit:innen. Er hielt sich konstant in den Top fünf und sorgte vor allem am Coverabend mit seinem originellen Duett mit Topo Gigio für Aufmerksamkeit. Bei ihm kamen die Außenseiterposition und die Erfüllung der Cantautore-Quote zusammen. Und tatsächlich wäre ihm das kleine Wunder auch fast gelungen, am Ende fehlten ihm gerade einmal 0,4 % der Stimmen für den Sieg. Der Kritikerpreis war ihm aber sicher.

Nahaufnahme von Olly, der das Kinn in seiner Hand abstützt
Olly (Credits: Rai)

Dass es schließlich doch der frühe Favorit Olly war, der auf dem ersten Platz landete, war vor allem dem Televote zu verdanken. Hier erreichte er in der letzten Runde 31 % (zum Vergleich: Geolier erreichte im Vorjahr 60 %), was gerade so für den Sieg reichte. Damit gewann auch das in den Charts bereits erfolgreichste Lied. Wenn die kleinen Anpassungen im Abstimmungssystem darauf abgezielt hatten, den Sieger des Televotes abzusichern, ist die Strategie aufgegangen. Was an Ollys Sieg noch bemerkenswert ist: Seine Managerin Marta Donà war bereits für die Siege von Måneskin, Marco Mengoni und Angelina Mango verantwortlich, womit sie in den letzten Jahren eine beispiellose Erfolgsserie vorweisen kann.

In Summe konnte Carlo Conti nahtlos an die Festivals von Amadeus anknüpfen. Während er sichtlich bemüht war, mögliche Skandale schon im Keim zu ersticken, und wenig Raum für Überraschungen ließ, schenkte er dem Festival 2025 viel Routine und Leichtigkeit. Die ungebrochen hohen Einschaltquoten gaben ihm Recht. Das Ergebnis wird vor allem wegen des sechsten Platzes für Giorgia noch für Diskussionen sorgen. Die guten Platzierungen der Cantautori (Brunori Sas auf dem dritten Platz darf nicht vergessen werden) sind aber jedenfalls ein gutes Signal für die Zukunft.

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