Wem gehört das Sanremo-Festival?
Nach einem aufsehenerregenden Urteil des Verwaltungsgerichts Ligurien steht die Frage im Raum, wem das Sanremo-Festival aus rechtlicher Sicht eigentlich gehört.
Nach einem aufsehenerregenden Urteil des Verwaltungsgerichts Ligurien steht die Frage im Raum, wem das Sanremo-Festival aus rechtlicher Sicht eigentlich gehört. Dies hat möglicherweise Auswirkungen auf die Zukunft der Veranstaltung.
Hintergrund
Im Gegensatz zum Eurovision Song Contest, der seit jeher in den Händen der Europäischen Rundfunkunion lag, waren am Sanremo-Festival von Anfang an mehrere, im Lauf der Zeit wechselnde Parteien beteiligt. Dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk Rai schon seit der ersten Ausgabe der Rundfunkpartner des Festivals ist, darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Organisation der Veranstaltung jederzeit wechseln kann. So war die Rai von 1951 bis 1957 auch für die Organisation zuständig (in Zusammenarbeit mit dem Kasino), zog sich dann aber zurück und überließ die Organisation dem Konzessionsnehmer des Kasinos: der Azienda Turistica Alberghiera (ATA; 1958–1969), später Società Due Erre (1970–1971). In den Jahren 1972, 1973 und 1975 übernahm die Stadt Sanremo selbst die Organisation, in anderen Jahren beauftragte sie private Intendanten. 1979 bis 1988 war Publispei von Gianni Ravera verantwortlich, 1989–1991 Organizzazione Artistica Internazionale (OAI) von Adriano Aragozzini.
Erst 1994, nach zwei Jahren in Gemeinschaftsproduktion mit Publispei und OAI, übernahm die Rai erneut selbst die Organisation des Sanremo-Festivals. Damit gingen 35 Ausgaben des Festivals ohne Organisation durch die Rai über die Bühne, darunter auch die überaus erfolgreichen Phasen der 1960er- und 1980er-Jahre. Einzige Konstante blieb die Stadt Sanremo, deren effektiver Beitrag zum Festival aber abgesehen von den Jahren 1972, 1973 und 1975 eher gering blieb. Allerdings war es schließlich die Stadt, die sich um die Jahrtausendwende die Rechte für die Wortmarken Festival della Canzone Italiana und Festival di Sanremo sichern ließ. Damit schien Sanremo keinen Zweifel darüber lassen zu wollen, wem das Festival gehört, gerade in einer Phase, in der die Rai wieder eine sehr aktive Rolle einnahm. Es gab jedoch keine ernsthaften Versuche mehr, die Organisation des Festivals in andere Hände zu geben, auch wenn die Verträge zwischen Sanremo und der Rai alle paar Jahre neu verhandelt werden.
Urteil des Verwaltungsgerichts
Dass auch andere Medien und Unternehmen am Sanremo-Festival interessiert sind, ist wenig verwunderlich. Die Agentur Just Entertainment meldete 2023 bei der Stadt Sanremo Interesse an, die Organisation des Festivals zu übernehmen. Nachdem die Stadt aber den Vertrag mit der Rai erneut verlängert hatte, zog Just Entertainment vor das Verwaltungsgericht Ligurien. Die Forderung: Die Ausrichtung des Festivals müsse öffentlich ausgeschrieben werden. Dagegen brachte die Rai vor, dass ihr das „Format“ (Konzept) der Veranstaltung gehöre und dieses im Wesentlichen mit der Marke untrennbar verbunden sei, wodurch sie Mitinhaberin der Marke sei.
Das Verwaltungsgericht gab Just Entertainment Recht: Da die Marke eindeutig der Stadt Sanremo gehöre, könne diese frei darüber verfügen. Bei der Vergabe der Nutzungsrechte müsse sie sich entsprechend an die Regeln für öffentliche Ausschreibungen halten. Das Format der Veranstaltung könne ohne Probleme von der Marke getrennt werden. Im 58 Seiten starken Urteil sind hierzu zahlreiche Argumente angeführt, darunter die fehlende Anfechtung der Markenregistrierung, Änderungen am Format der Veranstaltung im Lauf der Jahre und die genauen Vertragsbestimmungen über die an die Stadt entrichteten Gebühren. Aufgrund der fortgeschrittenen Vorbereitungen für Sanremo 2025 entschied das Gericht allerdings, dass die öffentliche Ausschreibung erst für die Ausgabe 2026 erfolgen müsse.
Folgen
Das Urteil kam für die meisten Beobachter überraschend und sorgt nun für einige Unsicherheit hinsichtlich des Sanremo-Festivals 2026 (für das die Rai immerhin bereits Carlo Conti als künstlerischen Leiter bestätigt hatte). Sicherlich wird die Rai beim Staatsrat Berufung gegen das Urteil einlegen, wodurch sich eine endgültige Entscheidung möglicherweise noch um ein weiteres Jahr verzögert. Doch angenommen, dass das Urteil bestätigt wird, würde die Rai in Zukunft mit anderen interessierten Parteien wie Mediaset, Sky, Amazon, Netflix oder Discovery um die Ausrichtung des Festivals konkurrieren müssen. Und auch wenn die Rai durch ihre langjährige Erfahrung in einer starken Ausgangsposition ist, könnten die privaten Medien mit üppigen Budgets punkten.
Entsprechend groß scheint die Nervosität in Rai-nahen Kreisen zu sein. Die Politik hat sofort mit bedeutungsschweren Worten reagiert. So hieß es von der Demokratischen Partei, dass der Verlust des Festivals „ein schwerer Schlag nicht nur für das wirtschaftliche Gleichgewicht der Rai, sondern auch für die Förderung der italienischen Musik und der kulturellen Tradition, die diese Veranstaltung repräsentiert“, sei. Und Gianni Berrino von der Regierungspartei Fratelli d’Italia betonte, dass das Festival „Ausdruck der italienischen Kultur, Symbol der Italianità im Ausland und ein sowohl nationalhistorisches als auch fernsehhistorisches Gut“ sei und deshalb geschützt werden müsse.
Die Rai dagegen versuchte zu beruhigen und verwies vor allem darauf, dass sie in jedem Fall die Rechte am Format der Veranstaltung habe. In der Praxis könnte das bedeuten, dass die Rai – sollte sie bei einer etwaigen öffentlichen Ausschreibung von der Konkurrenz ausgestochen werden – das Festival trotzdem organisiert, dann aber unter anderem Namen und an einem anderen Ort. Die Forderung, das Festival an einem besser erreichbaren Ort mit einer größeren Bühne stattfinden zu lassen, gibt es ohnehin schon lange. Diese Aussicht allein dürfte gegenüber der Stadt Sanremo ein mächtiges Druckmittel sein und macht es unwahrscheinlich, dass Konkurrenten eine ernsthafte Chance hätten.
Ob es aber überhaupt zu einer öffentlichen Ausschreibung kommt, ist noch völlig offen. Das letztinstanzliche Urteil des Staatsrats kann mit Spannung erwartet werden.